Bei einem Gesprächsabend zur Problematik von DDR-Spezialheimen im Bad Freienwalder Rathaus diskutierte Heide Schinowsky mit dem Politikwissenschaftler Dr. Christian Sachse, Roland Herrmann, einem ehemaligen Insassen des Durchgangsheims Bad Freienwalde und jetzigem Vorsitzenden der Betroffeneninitiative „Kindergefängnis Bad Freienwalde“, und der Liedermacherin Kathrin Begoin, die im einzigen Geschlossenen Jugendwerkhof der DDR in Torgau eingesessen hat. Bis Ende der 80er Jahre befand sich in Bad Freienwalde in einem ehemaligen preußischen Gefängnis ein Heim für Kinder und Jugendliche, die unter menschenunwürdigen Bedingungen, ohne Außenkontakte und großteils für deutlich längere Zeit als selbst zu DDR-Zeiten rechtlich zulässig weggeschlossen waren. Eine Rehabilitation und die gesellschaftliche Anerkennung des Leids der Betroffenen fand bislang kaum statt.
„Zu DDR-Zeiten lautete ein gängiges Vorurteil: Wer im Jugendwerkhof ist, der ist kriminell. Heute wissen wir, dass diese Einschätzung in den meisten Fällen falsch war“, sagt Heide Schinowsky. „Damals sind vielen Kindern und Jugendlichen in Spezialheimen die Zukunftschancen verbaut worden, indem Ausbildungswege versperrt blieben. Daran und insbesondere an den schlimmen Erlebnissen in den Heimen tragen die Betroffenen zum Teil noch heute schwer.“ Willkürlich, ohne Einverständnis der Eltern und ohne Widerspruchsmöglichkeiten konnten Kinder und Jugendliche in der DDR in Spezialheime eingewiesen werden, wenn der Staat meinte, sie würden gegen die „Regeln des sozialistischen Zusammenlebens“ verstoßen oder keine „sozialistische Einstellung zur Arbeit“ haben, erläutert Dr. Christian Sachse. Mitunter reichte allein die Kündigung einer Ausbildungsstelle für eine die Einweisung. Roland Herrmann verdeutlicht, wie die Praxis aussah. Neben Schlagstöcken, Stacheldraht, Gitterstäben brachte Herrmann auch ein Bund aus schweren Eisenschlüsseln mit: „Den haben wir quer über den Flur an den Kopf geworfen bekommen, wenn wir mal wieder nicht schnell genug waren“, erzählt Roland Herrmann. Gespannte Stille herrscht im Saal, als die ehemalige Insassin von Torgau Kathrin Begoin zur Gitarre greift und mit Liedern wie „Tränen in der Nacht“ an ihre Erfahrungen im Jugendwerkhof erinnert. Viele der ehemaligen InsassInnen der Heime haben inzwischen ihre strafrechtliche Rehabilitierung beantragt. Die Begehren wurden am Landgericht Frankfurt (Oder) von der Kammer für Rehabilitierungsverfahren stets zurückgewiesen. Ein Mitarbeiter der Brandenburger DDR-Aufarbeitungsbeauftragten Ulrike Poppe erläutert, warum: Maßgeblich wären nach aktueller Rechtslage lediglich die Einweisungsgründe, nicht aber die Bedingungen innerhalb der Heime. Hoffnung macht aber die jüngste Rüge des Bundesverfassungsgerichts an einem einschlägigen Gerichtsverfahren in Brandenburg. So hoben die Karlsruher Richter im Februar 2015 einen Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichtes auf, das 2011 einen Antrag der ehemaligen Insassin Norda Krauel auf Rehabilitierung abgelehnt hatte. Die Brandenburger Richter hätten sich nur ungenügend mir den Fall vertraut gemacht, rügte das höchste deutsche Gericht und benannte gravierende Verfahrensmängel. Doch die Wiederaufnahme der Verfahren verzögern sich. Nichts weist an dem heute unbenutzten Gebäude in der Adolf-Bräutigam-Straße 4a – damals Karl-Liebknecht-Straße 4a – auf das dort erlebte Leid hin. Die Betroffeneninitiative „Kindergefängnis Bad Freienwalde“ will sich nun bei der Stadt Freienwalde dafür stark machen, dass eine Gedenktafel angebracht wird.