Bei einem Gesprächsabend im Cottbuser Stadtmuseum diskutierten Cottbuserinnen und Cottbuser mit dem Bundesgeschäftsführer der Bündnisgrünen Michael Kellner, der aufarbeitungspolitischen Sprecherin der bündnisgrünen Landtagsfraktion Heide Schinowsky und dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk über dessen neues Buch „Die Übernahme: Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“.
In der Debatte um den Umgang mit der jüngeren Geschichte hat Schinowsky am Donnerstagabend in Cottbus die Öffnung der Treuhand-Akten gefordert. „Die Akten der Treuhand sollten schnellstmöglich als offene Daten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, um aufgearbeitet werden zu können“, sagte die Landtagsabgeordnete. Zudem bestehe erheblicher Forschungsbedarf: „Die zeitgeschichtliche Forschung sollte deutlich erweitert werden, um diese Fragen systematisch bearbeiten zu können.“ Derzeit befasst sich das Leibnitz-Institut für Zeitgeschichte München mit der Treuhandanstalt.
Was heute kaum noch jemand weiß: Die ursprüngliche Idee zur – dann gleichwohl in deutlich anderer Form und mit abgewandelten Zielen eingesetzten – Treuhandanstalt war keine „Erfindung des „Westens“, sondern wurde noch von der DDR-Volkskammer aus der Taufe gehoben. Im Februar 1990 legte die Gruppe „Demokratie Jetzt“, namentlich der Theologe Wolfgang Ullmann, hierfür einen Vorschlag vor. Eines der Kernziele war die „Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am Volkseigentum der DDR“ (siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Treuhandanstalt). Verhindert werden sollte auch, dass sich ostdeutsche Funktionäre die volkseigenen Betriebe aneignen – so wie es ohne vergleichbare Institution in ganz Osteuropa in den 90er Jahre passierte; das bis heute bestehende und einflussreiche Oligarchentum ist eine Folge davon.
Schinowsky wies darauf hin, dass bei aller berechtigter Kritik am harten Privatisierungskurs der Treuhand bzw. der Kohlregierung in heutigen Diskussionen oft unberücksichtigt bleibe, dass die DDR-Wirtschaft in umfassendem Ausmaß marode war, wie die Analyse von Gerhard Schürer, dem damaligen Chef der staatlichen Plankommission und führenden Wirtschaftsexperten im Oktober 1989 belegt. Ostdeutsches Unternehmertum war zudem – auf Grund von deren umfassender Bekämpfung in der DDR – 1989 kaum mehr vorhanden oder nahezu chancenlos.
Bei dem sachlichen Austausch im Stadtmuseum kamen auch persönliche Schicksale und Verwerfungen der Umbruchzeit zur Sprache. „Wichtig ist das Gespräch miteinander“, sagte Schinowsky. „Die Debatte um die Treuhand steht stellvertretend für vieles, was in schlechter Erinnerung geblieben ist. Die Auseinandersetzung mit den Akten kann zur Versachlichung beitragen.“ Nach zwei Stunden intensiver Diskussion sagte Kowalczuk: „Der Ostdeutsche sollte so werden, wie es der Westdeutsche glaubte zu sein.“ Und es gab stilles Nicken im Publikum. „Der Austausch hierüber ist wichtig und muss unbedingt fortgeführt werden“, resümierte Schinowsky.
Einem Treuhand-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag stehen die Bündnisgrünen zurückhaltend gegenüber: „Mit einem Untersuchungsausschuss soll das Regierungshandeln überprüft werden. Da die Zuständigkeit für die Treuhand damals jedoch ausschließlich auf Bundesebene und nicht bei den ostdeutschen Landesregierungen lag, erschließt sich nicht, welchen konkreten Auftrag ein Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag bekommen könnte. Das Handeln der Bundesregierung kann nur im Bundestag untersucht werden“, erklärt Schinowsky.