Mit Verrechnungstricks will die Bundesregierung EU-Fördergelder für den Strukturwandel in Kohleregionen ("Just Transition Fund"; JTF) den Bundesländern vorenthalten. Die EU-Gelder sollen stattdessen dafür genutzt werden, um zugesagte Mittel des Bundes aus dem Strukturstärkungsgesetz (StStG) zu finanzieren. Das bestätigte Wirtschaftsstaatssekretär Ulrich Nußbaum auf eine Anfrage der Brandenburger Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock (B90/Die Grünen): "Die Absicht der Bundesregierung, Mittel aus dem JTF zur Erfüllung der Zusagen des StStG einzusetzen, ist somit strukturpolitisch begründet und haushaltspolitisch mit Blick auf die einzuhaltenden finanzverfassungsrechtlichen Verschuldungsspielräume geboten", heißt es in der Antwort. Das Vorhaben wird von Seiten des Bundes mit der Schuldenbremse begründet. Pikant: Medienberichten zufolge soll der Plan aus der Feder von einem Vertrauten des Bundesfinanzministers Olaf Scholz stammen, der als SPD-Kanzlerkandidat in Brandenburg zur Bundestagswahl antritt. Gegen das Vorhaben laufen die Bündnisgrünen Sturm.
"Es ist unredlich, dass sich die Bundesregierung mit fremden Federn schmücken will. Gelder aus dem Just Transition Fund sollten ausschließlich als zusätzlicher Anschub in die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen in Deutschland gehen. Ansonsten fehlen diese Gelder am Ende dort in der EU, wo sie ebenfalls dringend benötigt werden", sagt die Brandenburger Bundestagabgeordnete ANNALENA BAERBOCK.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen/EFA im EU-Parlament, SKA KELLER, kritisiert: "Die Mittel des Just Transition Fund sind grundsätzlich dazu gedacht, die Kohle- und Industrieregionen der EU beim Umbau ihrer Wirtschaft zu unterstützen, nicht um den Bundeshaushalt zu sanieren. Wenn diese Gelder nicht zusätzlich kommen, haben die Regionen einen direkten Schaden. Mit jedem Euro Fördergeld ist bisher eine zusätzliche Wirtschaftsleistung von fast drei Euro in der EU entstanden", sagt Keller.
Als "unverständlich" bezeichnete die strukturwandelpolitische Sprecherin der Brandenburger Landtagsfraktion der Bündnisgrünen, RICARDA BUDKE, die Pläne der Bundesregierung. "Auf der einen Seite sollen absurd hohe Entschädigungszahlungen an Kohlekonzerne aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden, andererseits will man uns zusätzliche Mittel für den Strukturwandel vorenthalten".
Landesvorsitzende der Brandenburger Bündnisgrünen, JULIA SCHMIDT, betont: "Der SPD-Politiker Olaf Scholz hat sich Brandenburg ausgesucht, um für die Bundestagswahl zu kandidieren, handelt aber ausgerechnet in einer entscheidenden Zukunftsfrage dem Wohl der Region zuwider. Er muss sich fragen lassen, warum er in Brandenburg antritt, wenn er so kalt gegen die Interessen der Brandenburgerinnen und Brandenburger vorgeht."
Die Lausitzer Grünenpolitikerin HEIDE SCHINOWSKY begleitet den Strukturwandelprozess seit langem: "Wir haben uns seit Jahren in der Lausitz für ein zielgerichtetes Engagement der EU stark gemacht. Jetzt auf der Zielgeraden mit den neuen EU-Fond will uns der Bund die Gelder streitig machen. Der Umbau der Wirtschaft und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft braucht jeden zusätzlichen Euro. Wenn der Bund mit Verrechnungstricks arbeiten will, wird das dem Strukturwandel vor Ort nicht dienlich sein", kritisiert die Kreissprecherin der Bündnisgrünen im besonders vom Kohleausstieg betroffenen Landkreis Spree-Neiße.
Die EU Kommission hatte bereits im Januar 2020 den Just Transition Fund vorgestellt. Als Teil des "Green Deal" soll er vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen helfen. Nach der letzten Einigung der europäischen Staats- und Regierungschefs soll der Fond ein Volumen von 17,5 Milliarden Euro haben, wovon allein die deutschen Regionen ca. 2,2 Milliarden Euro erhalten könnten.